Herzensangelegenheit Angehörigenpflege
Menschen, die einen Angehörigen pflegen, schränken ihr eigenes Leben oft sehr stark ein. Der Verantwortungsdruck bringt sie häufig bis an den Rand ihrer Kräfte. Jedoch bleibt der pflegende Angehörige meist nicht nur mit seiner Aufgabe allein, sondern auch mit dem seiner Fürsorge zugrundeliegenden Motiv.
Häufig müssen sich Menschen, deren naher Angehöriger plötzlich pflegebedürftig geworden ist, mit einem Thema auseinandersetzen, das ihnen selbst nicht angenehm ist. Zunächst drückt sich in der Bereitschaft zur Pflege das besondere Motiv aus, den anderen in schweren Zeiten nicht im Stich lassen zu wollen. Jedoch führt die ständige Pflege eines Nahestehenden beinahe jeden Betroffenen an seine körperlichen und psychischen Grenzen.
Dabei kann es in der Begegnung mit dem Kranken auch zu Interaktionen kommen, in denen der Pflegende sich selbst als nicht hinreichend angemessen in seinem Verhalten erlebt. Gerne würde er sich immer gleichbleibend gegenüber dem Kranken zeigen, der ihm anvertraut ist. Jedoch muss er sich hier oft schmerzlich als Mensch erkennen, dessen Kräfte eben begrenzt sind.
Damit die Pflege eines Angehörigen angemessen geleistet werden kann und der Pflegende von seiner schweren Aufgabe auf Dauer nicht ausgehöhlt wird, ist es wichtig, dass er sich seiner persönlichen Motive bewusst wird, die ihn zur Übernahme dieser Verantwortung bewegen. Dabei ist es nötig, dass der Betroffene sich mit seinen eigenen Wünschen und Lebensplänen auseinandersetzt, die er bisher verfolgt hat und nicht selten für den Erkrankten aufgeben musste.
Tiefgehende Verpflichtungsgefühle dem anderen gegenüber verleiten Menschen häufig, sich von persönlichen Lebensziele und –träumen zu verabschieden und sich dem anderen im Rahmen von Pflege zur Verfügung zu stellen. Jedoch lassen sich eigene Lebenspläne nicht so einfach abschütteln. Ihre Verfolgung gibt Menschen in jedem Lebensalter Hoffnung, ihre Erfüllung Kraft und Freude, die sie gerade im Älterwerden besonders brauchen. Sie geben dem individuellen Leben den jeweiligen Sinn.
Gibt ein Betroffener all das für seinen erkrankten Angehörigen auf, so löst dies bei ihm meist Trauer um eine scheinbar verlorene Zukunft aus. Pflichtgefühl, die eigene Erwartungshaltung und gesellschaftlicher Druck tragen dazu bei, dass der Betroffene diese Trauer verdrängt. Jedoch kann ihm erst aus der respektvollen Auseinandersetzung mit der eigenen Enttäuschung über diesen Lebensverlauf eine neue Kraft erwachsen, um mit seiner neuen Lebenssituation Frieden schließen zu können. Depressionen und Burnout sind die häufigsten Folgen der fehlenden Beschäftigung mit den eigenen Gefühlen.
Für viele Betroffene ist es überraschend, dass sie nach Verarbeitung der für sie relevanten Themen tatsächlich auch in ihrer Pflegeaufgabe einen Sinn finden können, der sie mit Kraft versorgt und nicht nur ständig Energien abzieht. Manchmal erkennt der Pflegende aber auch, dass es Zeit wird, die Pflegeaufgabe abzugeben.
Das ist ein schmerzlicher Prozess, der im Rahmen einer „Aspekttherapie“ jedoch häufig schon innerhalb weniger Gesprächstermine abgeschlossen wird. Dann ist der Betroffene häufig überrascht, welche positiven Änderungen sich plötzlich in der Beziehung zu seinem Angehörigen ergeben können.